Leseproben
das neunchen
neun silben führen in zeile eins
plus sechs in zeile zwei
zum thema
in zeile drei bringen drei silben
des dichters gedanken
auf den punkt
dann schreibt man alles nur in kleinschrift
satzzeichen braucht man nicht
fürs gedicht
es zeigt sich optisch besonders schön
wenn man den text zentriert
so wie hier
es darf sich reimen doch ohne zwang
manchen wird es zur sucht
das neunchen
Inge Wrobel © 2009-12-07
Kinderwinter (Auszug)
„Erst im Alter erinnere ich mich wieder daran, warum ich als Kind den Winter liebte.
Erst jetzt, wo es so aussieht, als wolle der Winter nie enden, kommen die verschütteten Erinnerungen hoch, die ich für immer begraben glaubte.
Freilich lege ich mich nicht in den Schnee, um mit Armen und Beinen einen Adler zu formen. Und ich baue auch keinen Schneemann – und eine Schneeballschlacht gibt es auch nicht. Gegen wen sollte ich diese Schlacht schlagen? Und wen sollte ich mit Schnee „einseifen“?
Der Spaß am Schnee endete mit der Kindheit.
Inzwischen bin ich froh, wenn ich im Warmen sitzen kann.“
Heureka, ich hab’s! (Auszug)
„Weit und breit ist kein anderes Fahrzeug zu sehen. Das Wetter ist wie im Bilderbuch.
Ein Sonnenstrahl trifft ihn, blendet kurz. „Heute ist ein guter Tag zum Sterben!“ jubelt es in ihm. Er fühlt sich glücklich, ja – selig.
Nichts spürt er, außer dieser wohligen Geborgenheit, dieser ihn ganz umfassenden Wärme. Federleicht scheint sein Körper, entmaterialisiert und … schwebend, schwebend, höher – lustvoll.
Bei der polizeilichen Aufnahme des Unfalls findet ein Beamter etwas
entfernt vom schrottreifen Wagen ein unversehrtes Klemmbrett.
Auf dem Blatt stehen, in schwungvoll roter Schrift, die Worte:
„Heureka, ich hab’s!“
Dieselben Worte sind als Letztes auf dem Band zu hören, das ebenfalls, wie durch ein Wunder, unbeschädigt blieb. Seine Sekretärin wird später dazu sagen, die Stimme ihres Chefs nie so begeistert, ja euphorisch, gehört zu haben, wie bei diesen drei Wörtern.“